RICHTIG NETT

Ein Fast-Food-Restaurant in Kanada. Ein Mann bezahlt seine Rechnung – und auch die seines Hintermannes. Der Beschenkte freute sich so sehr, dass er es seinem Spender gleichtut. Auch der Nächste schließt sich an … Am Ende wiederholt sich diese nette Geste ganze 225 Mal! Freundlichkeit scheint hochgradig ansteckend zu sein – im positiven Sinne natürlich. Und sie scheint uns alle weiterzubringen. Studien belegen, dass nicht nur die Empfänger von netten Gesten profitieren, vor allem kann sich der Spender über Glückskicks freuen.

Die vielen Gesichter der Nettigkeiten reichen von zugewandten Haltungen, guten Taten über Großzügigkeit und Trost bis zu sozialem Verhalten und jenen Gefälligkeiten, für die eine Gegenleistung erwartet wird. Fakt ist: Freundlichkeit gehört zur menschlichen Grundausstattung. Jeder könnte sie jederzeit aus dem Hut zaubern. Egal, ob alt oder jung, reich oder arm, ob in Tasmanean oder Deutschland. Besonders die ganz Kleinen haben es noch voll drauf: Studien zeigen, dass Zweijährige bereitwillig Essen und Spielzeug mit anderen teilen. Trotzdem sollten wir Kinder immer wieder dazu ermuntern, nett zu sein. Denn mit etwa fünf Jahren erkennen sie, dass sich Freundlichkeit bewusst einsetzen lässt, besonders wenn man vom anderen etwas will. Selbstlos freundlich oder eher berechnend: Forscher untersuchten beide Verhaltensweisen anhand von Hirnscans. Waren Testpersonen im Experiment freundlich, um etwas zu bekommen, wurden deutlich weniger Areale ihres Belohnungszentrums angeregt als bei jenen, die selbstlos freundlich handelten. Bei ihnen wurden zusätzliche Regionen in der Großhirnrinde aktiviert. Sie sorgen beispielsweise dafür, dass auch zukünftig freundliches Verhalten leichter fällt.

Ganz gleich, in welcher Form sich die Freundlichkeit ausdrückt, sie ist ein Multitalent. Studien belegen: Nicht nur das Immunsystem und die Herzgesundheit werden gestärkt. Freundliche Taten senken auch die Angst, abgelehnt zu werden, sodass sich Menschen im zwischenmenschlichen Austausch weniger gestresst fühlen. Zudem steigern freundliche Menschen ihr Selbstwertgefühl, genießen den größeren Respekt und eignen sich besonders gut als Führungspersonen – allerdings noch zu oft in eher schlechter bezahlten Berufen wie dem sozialen Bereich. Wenn Freundlichkeit vor allem Vorteile hat, warum fällt sie uns dann manchmal dennoch schwer? Weil sie gerade in westlichen Gesellschaften gefährlich sein könnte, sagen Experten. Empathie und Sympathie, Entgegenkommen und Zuvorkommenheit, Güte und Liebenswürdigkeit werden deshalb häufig unterdrückt. Manche Menschen trauen sich immer seltener, freundliche Eigenschaften zu zeigen, weil diese zunehmend als Schwäche abgewertet werden, meinen Psychoanalytiker Adam Phillips und Historikerin Barbara Taylor.

Für viele Mitmenschen gelte Freundlichkeit eher als „Versagertugend“ und mehr als Zeichen von Abhängigkeit, denn als Stärke. Gegen dieses Misstrauen empfehlen die Experten vor allem eines: Erst recht freundlich zu sein! Wir haben die freundliche Energie in uns, müssen sie aber regelmäßig neu aufladen, statt permanent den anderen die Schuld für unsere schlechte Laune zu geben. Der Tag bietet dazu reichlich Gelegenheiten – und sei es nur für ein Lächeln. Jede zugewandte Handlung kann das ideale Gegengift gegen Egozentriker sein und die stärkste Waffe gegen eine Welt, die zunehmend emotional kälter und hasserfüllter erscheint. Jamil Zaki von der Stanford Universität macht Mut: „Freundlichkeit ist eine empfindliche Pflanze: Einer muss anfangen, dann wächst sie und verbreitet sich.“

- Juni, 2020 /weltraum, Quelle: Psychologie Heute, Layout/Grafik: Kerstin Krempel

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