Dr. Wolfgang Krüger ist Tiefenpsychologie und Psychotherapeut. Ihn beschäftigen vor allem soziale Fragen. In zahlreichen Büchern hat er sich mit lebenspraktischen Themen beschäftigt – unter anderem auch mit Freundschaft.

Warum brauchen wir überhaupt Freunde?

Wir Menschen haben zwei große Schwachpunkte. Der eine ist Unsicherheit, der andere Einsamkeit. Beides kann unser Leben stark beeinträchtigen – besonders die Einsamkeit. Wir leben in einer Zeit, in der wir Verlässlichkeit und Freiheit gleichermaßen suchen. Dazu zählen auch Beziehungen, die wir selbst gestalten wollen. Deshalb geht die Bedeutung von Familie zurück, während Freundschaften wichtiger werden. Selbst eine Liebesbeziehung kann unseren Wunsch nach tiefen Beziehungen nicht komplett ausfüllen. Dazu brauchen wir gute Freundschaften, die im Übrigen auch einer Partnerschaft guttun.

Was zeichnet eine Freundschaft aus?

Bekanntermaßen erkennt man gute Freunde oft erst in Krisen. Besondere Qualitäten sind Verlässlichkeit und die Möglichkeit, mit jemanden über alles reden zu können – auch über Tabus und Peinlichkeiten. Auch wenn der Grad der Intimität von Freundschaft zu Freundschaft verschieden ist, lässt sich festhalten, dass Menschen in den letzten Jahrzehnten viel offener geworden sind. 

Wie ändern sich Freundschaften im Laufe eines Lebens?

Die meisten Freunde haben wir um die 20. Dann gibt es noch viele Freiräume und Möglichkeiten, Leute zu treffen. Danach geht die Zahl der Freundschaften stark zurück, während sich aber die Qualität verbessert. Wenn wir älter werden, haben wir zwar weniger Zeit für Freundschaften. Dafür können wir unserer Menschenkenntnis mehr trauen und Konflikte besser klären. Wenn die Kinder noch zu Hause leben und wir Karriere machen, fallen Freundschaften sehr leicht hinten runter. Das bessert sich im Allgemeinen, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Dann stellen viele Menschen allerdings fest, dass bestimmte Freundschaften nicht mehr passen. Etwa, weil man das Gefühl hat, mehr zu geben als zu bekommen. Außerdem können Job- oder Ortswechsel eine Rolle spielen und es werden andere Dinge wichtiger als die Pflege bestimmter Freundschaften. Wer aber Freundschaften schleifen lässt oder zu wenig für neue tut, läuft im Alter Gefahr, zu vereinsamen. Die andere Gruppe, die sich ihre Freunde bewahrt hat, neugierig bleibt und auf andere noch im hohen Alter zugeht, nenne ich die fröhlichen Alten. Sie wissen sehr genau, was sie suchen.

Gibt es bei Freundschaften gravierende Unterschiede zwischen den Geschlechtern?

Männer unterhalten oft typischen Kumpelbeziehungen und unternehmen gemeinsam deutlich mehr als Frauen. Dabei reden Männer gerne über vieles, nur nicht über sich selbst. Und wenn sie reden, dann am liebsten über ihre Erfolge. Oft kommt dann noch ein mehr oder weniger humoriges Konkurrenzverhalten ins Spiel. Anders sieht es bei Frauenfreundschaften aus. Sie betonen eher ihre Gemeinsamkeiten, indem sie sich beispielsweise über ihre Schwächen austauschen. Außerdem scheuen sich sie nicht, intime Themen anzusprechen. Zwei Drittel der befreundeten Frauen reden über ihre Partnerschaft, ungefähr die Hälfte thematisiert die eigene Sexualität, ein Drittel redet auch über Geld. Wenn über alles reden zu können, ein Kriterium für gute Freundschaft ist, dann muss man sagen, dass nur ein Drittel aller Männer wirkliche Freunde haben. Beim weiblichen Geschlecht sind es immerhin zwei Drittel.

Was schadet einer Freundschaft?

Normalerweise entwickelt man sich einfach auseinander, weil man das Interesse am anderen verloren hat und weil der Tiefgang in der Beziehung fehlt. Dazu kommen Konflikte. Dabei geht es oft um Neid: Wenn der eine mehr Erfolg hat als der andere. Neid ist für eine Freundschaft tödlich, weil man sich doch gerade vom anderen Anerkennung und Anteilnahme erhofft. Das betrifft übrigens Männer wie Frauen. Ein zweiter Punkt betrifft das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen. Ist das nicht ausgewogen, wird es schwierig. Weiteres Konfliktpotenzial verursachen Freunde, die immer bestimmen wollen und alles besser wissen. Und schließlich enden Freundschaften meistens dann mit einem Paukenschlag, wenn man dem anderen die Freundin wegschnappt, Vertraulichkeiten weitererzählt oder wenn man durch einen Freund eine tiefe Kränkung erfährt. Der größte Teil von Freundschaften ‚verläppert’ sich jedoch einfach, wenn es nicht mehr läuft.

Wir geht man am besten mit Konflikten um?

In jeder menschlichen Beziehung gibt es Konflikte. Das ist normal. Wenn wir älter sind, können wir damit oft gelassener umgehen. Ob ich Probleme anspreche, hängt von meiner Konfliktfähigkeit ab. In Deutschland zögern viele Menschen, wenn es darum geht, sich Konflikten zu stellen. Das könnte mit unserer deutschen Geschichte zu tun haben. Wird es in einer Freundschaft schwieriger, hängt vieles davon ab, ob sich die Freundschaft überhaupt noch lohnt. Grundsätzlich finde ich es wichtig, dass wir eine diplomatische Streitkultur entwickeln. Dabei sollten wir einerseits den Konflikt klar ansprechen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Andererseits sollten wir aber auch unbedingt unsere Wertschätzung gegenüber dem anderen ausdrücken und zeigen, was er oder sie uns bedeutet. Man kann fast alle Konflikte bewältigen, wenn wir unseren Respekt und unsere Wertschätzung für den anderen bewahren.

Sie wünschen sich, dass man viel mehr für eine Freundschaft tut …

Genau. Ich wünsche mir, dass wir die Kunst der Freundschaft erwerben. Wahrscheinlich könnten wir alle noch kreativer werden, wenn es darum geht, unsere Freundschaften frisch zu halten. Zum Beispiel schreibe ich meinen Freunden einmal im Jahr einen Brief, reflektiere die Zeit und sage, was ich mir für das kommende Jahr wünsche. Eine Idee für Freunde, die sich erst später in ihrem Leben kennengelernt haben, wäre, dass sie sich gegenseitig Ihre Fotoalben zeigen und die Geschichten dahinter erzählen. Oder lassen Sie sich von einer Freundin durch ihre Stadt führen: Wandeln Sie auf ihren Spuren, lernen Sie ihren Schulweg kennen! Und überraschen Sie Ihre Freunde mit ungewöhnlichen Fragen: „Welche Herzenswünsche hattest du in deiner Jugend, welche Lebenspläne hast du davon heute noch? Was sollte auf deinem Grabstein stehen?“ Ich finde, wir sollten es uns zum Lebensprinzip machen, dass wir uns mindestens einmal pro Woche um unsere Freundschaften kümmern. Dabei könnte es einigen Freundeskreisen guttun, wenn man sich gemeinsam sozial engagiert, Initiativen, einen Lese- oder Kinokreis gründet, gemeinsame Radtouren unternimmt oder einfach mal zusammen singt.

Juni 2022, weltraum, Foto: Gerald Wesolowski

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