Thomas Beyer > Experte für Kommunikation

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LEBEN AUS DER RUHE

Bruder Rudolf ist Franziskaner. Er hat in einer Suppenküche in Petersburg gearbeitet und in Deutschland mit Schülern, er engagierte sich in der Psychiatrie, in der Aids- und Notfallseelsorge in Berlin, war Arbeiterpriester und hat mit Obdachlosen zusammengelebt. Franziskaner sind immer unterwegs zu den Menschen in Not. Seit sechs Jahren lebt Bruder Rudolf auf dem Hülfensberg, bald zieht er zum 17. Mal um.

Bruder Rudolf, wie ruhig ist es bei Ihnen im Kloster?

Unser Kloster liegt auf einem Berg, deshalb ist das hier ein recht stiller Wallfahrtsort. Auch sonst gibt es bei uns regelmäßige Zeiten der Stille. Jeden Morgen um sieben Uhr treffen wir uns zum Gebet und dann in der Regel zu allen anderen Mahlzeiten und zum Gottesdienst – immer mit Zeiten der Stille. Wir können einen Tag in der Woche für uns selbst gestalten, um zum Beispiel die Ruhe der Natur zu genießen. Und jedes Jahr gibt es eine Exerzitienwoche, also geistliche Übungen, bei denen wir ohne Ablenkung schweigen, um ganz bei uns und im Gebet zu sein. Wir können uns außerdem eine dreimonatige Auszeit nehmen, um ganz bewusst über das Leben zu reflektieren. In unserer klösterlichen Tradition gehören Schweigezeiten und -räume zum täglichen Leben.

Haben Sie auch eigene ruhige Rituale?

Ich schaue morgens gern in den Garten und genieße diese besondere Ruhe. Manchmal ‚meditiere ich schwierige Menschen‘. Ich versuche, diese Menschen mit den Augen Gottes zu sehen, dann kann ich später auch viel gelöster auf sie zugehen. Vor dem Zubettgehen lasse ich den Tag los und empfehle ihn Gott. Und wenn ich eine Predigt vorbereite, entwickelt sich vieles aus dem Schweigen heraus. Ruhe erlebe ich auch beim Fahrradfahren. Beim gleichmäßigen Treten kann ich alles in mich aufnehmen und „erfahren“. Stille hilft mir auch, extreme Situationen, die ich besonders beim Tod und schweren Schicksalsschlägen erlebe, zu verarbeiten. Selbst, wenn ich Saxofon spiele, schenkt mir das Ruhe. Für mich ist Stille eine Grundhaltung, mit der ich durch das Leben gehe.

Was würden Sie Menschen empfehlen, um besser zur Ruhe zu kommen?

Wir empfangen auch Gäste, die unseren täglichen Rhythmus mitleben und gerade beim Schweigen die Erfahrung machen, dass sie gesammelter und aufmerksamer werden. Jeder kann aber auch in seinem Alltag bestimmte Ruhezonen für sich finden. Das könnte ein Raum sein, ein Ort, eine Sitzecke, die man regelmäßig und ungestört aufsucht. Auch in der Arbeit lassen sich immer wieder Phasen finden, wo man sich gleichsam meditativ einer Aufgabe widmet. Manche Menschen haben Angst vor der Stille, weil zu viel Unruhe in ihnen ist. Stille kann aber Ruhe, Erfüllung und ein Wohlgefühl geben. Stille heißt, sich nicht anstrengen zu müssen.

- September 2019, weltraum

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