ZUKUNFTSDESIGN

Ich traf Alexandra Martini 2010. Damals war sie Professorin für Grundlagen der Gestaltung an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) Braunschweig. Die selbstständige Gestalterin für Interiors, Design und Kommunikation ist heute Professorin für Gestaltungsgrundlagen an der FH Potsdam. Ich habe das Gespräch mit Alexandra Martini in meine Sammlung aufgenommen, weil es mich nachhaltig inspiriert und meine Sicht auf die Möglichkeiten von Design stark verändert hat. Fest stand für mich allerdings damals schon: Gutes Produktdesign kann eine starke innovative Strahlkraft erzeugen. Was dabei Design im Ganzen will und Universal Design im Besonderen kann, auch dazu hat Alexandra Martini 2010 Stellung bezogen.


Ist Design mehr als eine schicke Hülle, mehr als ein weiteres Reiz-Flutlicht, das uns auf die Sicht auf das Wesentliche verblendet? Alexandra Martini zieht bei dieser Frage etwas irritiert die Augenbrauen hoch. Und signalisiert dem Fragesteller, dass er mit einem derartigen Gesprächseinstieg auf dem völlig falschen Dampfer unterwegs sei. Gut, dann kommen wir also gleich zur Sache: Was hat Design mit der Zukunft zu tun? ,,Die Antriebsfeder der Designer ist das Streben nach Veränderung, Wandel sowie die Suche nach neuen Wegen und Konzepten", erklärt Alexandra Martini.” Und sie geht weiter auf das Innenleben der Kreativprofis ein: ,,Design lebt von Neugierde, von der Freude an Beobachtung und von vielen Inspirationsquellen. Dazu zählen Natur, Wissenschaft, Kunst, Kultur, Tradition und Technik." Die Professorin für Grundlagen der Gestaltung im Bereich Kommunikationsdesign/Industrial Design versteht Design als spannenden Gestaltungsprozess. Als eine Transformation der individuellen Inspiration im Kontext der Anforderungen unseres realen Umfeldes.

Dieser Prozess verlaufe quasi in sich immer weiter entwickelnden Loops. Er bewegt sich auf der Ebene von Wahrnehmung, Status-Quo-Analyse, Verbesserung und Funktionalität. Das Ziel: Eine Lücke im System zu entdecken, diese mit einer neuen Idee zu füllen und sie mit bereits vorhandenen Elementen neu zu vernetzen. Die bewusste Wahrnehmung der Realität und eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung damit bilde naturgemäß die Basis für jede Neugestaltung. Diesen ganzheitlichen gestalterischen Ansatz zu perfektionieren, auch darauf wird bei den Studierenden an der HBK großen Wert gelegt. Dieser ganzheitlicher Ansatz spiegelt sich in dem Begriff des „Universal Design" wider. „Wir konzentrieren uns dabei auf die Auseinandersetzung mit und die Gestaltung von Altersgruppen übergreifenden Produkten, die zur Erleichterung der Mobilität betragen sollen. Dabei haben wir den Anspruch, keine Gruppe zu stigmatisieren”, betont Martini. Wie sich solch ein Stigma nach dem Motto „Große Tasten sind für alte Leute“ vermieden ließe, erklärt die Designerin an einem praktischen Beispiel. So käme es etwa bei der Gestaltung eines Autositzes darauf an, dass seine Funktionalität es ebenso ermögliche, ein Surfbrett für einen jungen Menschen bequem zu verstauen wie den Rollator einer älteren Person.

Wie man diesem Anspruch gerecht werden kann, zeigte bereits 2008 die Lehrveranstaltung „Von Kopf bis Fuß – tägliche Begleiter für Alt und Jung“, die Alexandra Martini gemeinsam mit Prof. Erich Kruse im Rahmen eines Wettbewerbs für Studenten aus dem Industrial Design leitete. Dabei sollten die jungen Design-Talente für das Thema der demographischen Entwicklung sensibilisiert werden. Mit dem Ziel, Produkte zu entwickeln, die den Alltag erleichtern. Die Produkte sollten Spaß machen, funktional sein und die Lebensqualität erhöhen. Und alles wie gesagt: generationsübergreifend.

So wurde etwa Rouven Norman Rieger für seinen Entwurf „Schmetterling“ ausgezeichnet, einem Einkaufshelfer, der mit breiten Flügeln kleinere Besorgungen aufnimmt und das Bücken in den Einkaufswagen erspart. Ferner lässt er sich zum Einpacken der Waren mühelos zusammenzuklappen. Im Rahmen des Seminars wurden weitere spannende Projekte entwickelt. Dazu zählten die ergonomische Schreibhilfe „Emma“ und eine Bio-Tüte als gesunde Alternative zu Fertiggerichten für Singles jeder Altersklasse. Außerdem eine Laptoptaschen-Tisch-Kombination und die Gewürzreihe „flavour lab", die dazu ermutigt, neue Gewürze auszuprobieren.

Zukunftsweisend ist auch die Vernetzung und Kooperation von Hochschule und regionalen Unternehmen. Aus einer derartigen Zusammenarbeit resultierte die Gestaltung einer Hochhausfassade in Wolfsburg. Im Rahmen eines studentischen Wettbewerbs entwickelten 18 Studenten in einer interdisziplinären Lehrveranstaltung mit Alexandra Martini spannende Konzepte und visualisierten diese in realisierbaren Entwürfen. Die Umsetzung wurde im Oktober 2010 im Rahmen einer Gebäudesanierung der „Volkswagen Immobilien GmbH“ fertiggestellt.

Design kann also ein starker Dynamo sein für die Zukunftsgestaltung einer Gesellschaft. Es geht dabei nicht nur darum, Objekte zu entwerfen, so Martini, sondern auch um das Gestalten von abstrakten Prozessen und das Management von Schnittstellen. ,,Gutes Design denkt eben mit", sagt die Designerin. „Es zahlt auf die Zukunft ein und berücksichtigt dabei die vielfältigsten Aspekte unserer Lebenswelt. Schließlich wollen Designer die Welt verändern und sie zu einem besseren Ort machen." Und damit wäre sogar die Ausgangsfrage beantwortet.

– Regjo 3/2010, Regional-Journal für Südostniedersachsen, Foto: FH Potsdam

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