Friede unseren Seelen

Dirk Wagner arbeitete in seinem früheren Leben als Ingenieur und Niederlassungsleiter im Management eines großen Bauunternehmens. Nach dem Ende seines berufsbegleitenden Theologiestudiums wurde er 2013 Pfarrer. Heute engagiert er sich als Hochschulpastor in Hannover und als Industrieseelsorger in Wolfsburg. Ich habe mit Dirk Wagner über Chancen gesprochen, die ein friedliches Miteinander zwischen Menschen wahrscheinlicher machen.   

Was glaubst du, begünstigt kriegerische Auseinandersetzungen?

Macht spielt eine große Rolle: Wer sich ohne funktionalen Grund über den anderen stellt und daraus das Recht ableitet, ihn zu erniedrigen, sorgt für Unfrieden. Das Ganze beginnt schon beim Säbelrasseln und drückt sich in der Sprache aus. Deshalb sollten wir darauf achten, dass unsere Kommunikation friedlich ist und nicht darauf abzielt, andere Leute zu diskreditieren. Wer ein friedliches Miteinander will, braucht immer auch die Sicht von außen. Mir ist bewusst, wie schwierig diese Distanzierung ist, ohne gleich über den Dingen zu stehen. Aber wer von vornherein glaubt, moralisch besser als der andere zu sein, verhindert den Austausch im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens.

Du gehst als Seelsorger auf die Menschen zu. Welche Vorstellung von friedlichem Miteinander treibt dich an?

Ich möchte Menschen seelischen Beistand geben und ihnen ein guter Gesprächspartner sein. Der Frieden beginnt in der Seele. Um mit mir im Frieden leben zu können, muss ich mich selbst akzeptieren. Und ich sollte mir als Christ bewusst sein, dass ich mein Leben letztendlich nicht mir selbst verdanke, sondern etwas jemand Höherem. Auf dieser Basis gibt es Regeln, die für das friedliche menschliche Miteinander wichtig sind. Auf Hebräisch begrüßt man sich mit Schalom, weil man sich ein friedliches Miteinander wünscht. Augenhöhe scheint mir grundsätzlich eine wichtige Voraussetzung für ein gutes menschliches Miteinander zu sein. Da, wo es um Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten geht, ist die Gefahr für schwierige Konflikte groß. Aber die meisten Menschen wollen Frieden. Besonders im Westen identifizieren sich viele mit Werten wie Freiheit, Gleichheit und gegenseitige Unterstützung. Sie fördern das friedliche Miteinander. Gefährlich wird es, wenn Menschen gegenüber anderen übergriffig werden. Es ist wichtig, die Existenzgrundlagen des anderen nicht anzutasten. Dafür stehen auch die Gebote, beispielsweise „Du sollst nicht töten!“. Das gilt auch für den Rufmord, gerade in Zeiten, wo Menschenverachtung, Demütigung und Mobbing zunehmen, insbesondere in den sozialen Medien.

Trotz aller Möglichkeiten, die wir Menschen haben, nehmen die Aggressionen zu. Um uns herum herrscht eine explosive Stimmung, wenn es um unterschiedliche Meinungen geht. Wie erlebst du das?

Wir haben eigentlich genug gute menschliche Fähigkeiten, das nötige Wissen und hilfreiche Instrumente. Trotzdem nutzen wir unsere Möglichkeiten viel zu wenig. Selbst der Krieg wird von namhaften Politikern in Kauf genommen. Das stimmt mich sehr nachdenklich. Die Gewaltbereitschaft nimmt auch verbal zu. Und Andersdenkende werden immer häufiger diffamiert und ausgegrenzt. Oft geht es nur um einseitige Darstellungen. Die wenigsten können überhaupt noch wirklich zuhören. Früher gab es so etwas wie Entspannungspolitik. Menschen, die sich bemüht haben, die andere Seite mitzunehmen und gemeinsame Lösungen zu finden. Das vermisse ich sehr. Denn das Bemühen um Entspannung ist in unserem Alltag absolut notwendig.

Was können wir tun?

Ich bin kein Politik-Ratgeber. Aber ich kann zuhören und andere ins Gespräch bringen. Das Wichtigste in einem Gespräch ist der Abstand zu sich selbst. Man sollte sich über seine Rolle im Klaren sein und sich bewusst machen, dass jeder ein Teil einer Kultur, Geschichte und Prägung ist. Am Ende müssen immer die Konfliktparteien mit sich selber klarkommen. Die Hilfe von außen kann deshalb immer nur eine Hilfe zur Selbsthilfe sein. Konfliktparteien müssen klar ihr Anliegen kommunizieren, aber auch gesprächsbereit sein. Wir sich aber auch für die verantwortlich, die ohne uns am Rande stehen und unsere Unterstützung brauchen. Sie sollten wir einbeziehen. Das Ziel muss immer eine Lösung sein, mit der man gemeinsam leben kann.

Es geht auch um die Offenlegung der Interessen, die dahinter liegen. Und wir dürfen nicht so schnell aufgeben und sollten versuchen, wirklich ins Gespräch zu kommen. Wir sollten nicht gleich unterstellen, dass der andere gar keine Verständigung will. Wenn das einzige Ziel ist, das der andere meine Position übernimmt, dann kommen wir nicht weiter. Wir müssen offenbleiben für gemeinsame Anknüpfungspunkte. Demokratie bedeutet immer Debatten auszuhalten, die voraussetzen, dass auch die eigene Position verhandelbar ist.

Wie geht eine gesprächsbereite Gruppe mit einer um, die nicht kompromissbereit ist und nichts verändern will?

Jeder sollte bei sich selbst anfangen und bereit sein, dem anderen wirklich zuhören zu wollen. Versuchen wir wirklich, dem anderen eine gute Absicht zu unterstellen? Vertrauen wir tatsächlich darauf, dass der andere in seiner Haltung irgendwo einen berechtigten Kern hat? Denn auch das müssen wir anerkennen. Im Zweifel sollte jeder bereit sein, etwas von seiner Position aufzugeben – zum Wohle des guten Zusammenlebens. Wenn das nicht sofort möglich ist, dann müssen wir geduldig bleiben.

In diesen unsicheren Zeiten könnte der Glaube Orientierung liefern. Welche Botschaften hat die Kirche?

Auf den Punkt gebracht: Liebe Gott mit ganzer Seele, mit all deinen Kräften. Sei dir bewusst, dass du deine Existenz nicht deiner eigenen Leistung verdankst. Dass du hier leben darfst, ist ein Geschenk von oben. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Es geht also um Selbstachtung und Selbstliebe, weil wir Würde und Menschlichkeit verdient haben. Genau das sollten wir aber auch dem anderen zugestehen. Dafür brauchen wir eine Gesellschaft von freien und gleichen Menschen, die sich gegenseitig unterstützen und sich nicht im ständigen Wettbewerb zueinander verhalten. Jeder ist aufgerufen, auf den anderen zuzugehen und die eigene Würde und die des anderen zu achten.

Was wünscht du dir?

Aus tiefstem Herzen treibt mich die Sorge um die Seele der Menschen an. Wir leben in einer Zeit, in der unsere Seele nicht unbedingt als ‚systemrelevant‘ gilt. Oberste Priorität aber kann nicht nur das haben, was Geld bringt. Ich wünschte mir, dass in unserem Land endlich Entspannungspolitiker die Bühne betreten. Ich wünsche mir, dass auch auf internationaler Ebene jemand sagt: Komm, wir setzten uns alle zusammen und legen unsere Interessen offen auf den Tisch. Danach suchen wir ergebnisoffen nach Lösungen. Auf diese Weise würden die Menschen sehen, dass etwas Positives geschieht. Das wäre ein gutes Signal. Stattdessen sehen die Menschen im Moment nur, dass das Feuer immer weiter geschürt wird. Deshalb brauchen wir mehr denn je Menschen und Wege, die Deeskalation ermöglichen und nicht den Waffen den Vorrang geben. Für unsere Demokratie wünsche ich mir, dass die Menschen wieder häufiger aufeinander zugehen, sich gegenseitig zuhören und versuchen, die Interessen des anderen zu verstehen, statt ihn gleich zu dämonisieren. Wir alle können mehr tun. Wir müssen es aber auch wollen. 

Dezember 2022, weltraum, Foto: Janina Snatzke

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