Die Diplom-Psychologin und Psychoanalytikerin Dr. Maja Storch ist wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Selbstmanagement und Motivation Zürich ISMZ. Sie hat zahlreiche wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Publikationen verfasst und ist Herausgeberin der ZRM-Bibliothek. Maja Storch ist erzbischöfliche C-Kirchenmusikerin und Organistin. Sie versieht in ihrer Freizeit regelmäßig Orgeldienst in ihrer Gemeinde am Bodensee.

Frau Dr. Storch, was kennzeichnet kluge Entscheidungen?

Das Geheimnis kluger Entscheidungen liegt darin, bewusste und unbewusste Bewertungen so zu koordinieren, dass ein Wohlgefühl entsteht. Es ist aber illusorisch zu glauben, man könne etwas richtig oder falsch entscheiden. Das zeigt sich erst im Rückblick. Bei Lebensentscheidungen laufen die meisten Leute den falschen Erwartungen hinterher. Ich nenne das die Ostereier-Theorie. Die meisten glauben immer noch, dass irgendwo die richtige Entscheidung herumliegt, die man nur finden muss. Wie ein Osterei, das jemand im Garten versteckt hat. Wir reden hier aber über komplexe dynamische Systeme, wo bewusste rationale Prozesse ebenso beteiligt sind wie unbewusste. In diesem mehrdimensionalen Feld gibt es nicht die eine mögliche Entscheidung, allerdings können wir gute und schlechte Risiken abwägen. Wenn die Menschen das akzeptieren, dann könnten sie etwas entspannter mit dem Thema umgehen.

Die menschliche Informationsverarbeitung läuft über zwei Systeme, die unterschiedlich arbeiten. Was bedeutet das für unsere Entscheidungen?

Umgangssprachlich reden wir vom Verstand und vom Unbewussten. Der Verstand arbeitet eine Sache nach der anderen ab, unser Unterbewusstsein kann dagegen vieles gleichzeitig verarbeiten. Bei Entscheidungsprozessen denkt unser Verstand in „Pro- und Kontra-Listen“, während das Unbewusste die vielfältigsten Erfahrungen und Erinnerungen in Betracht zieht. Es kommt schließlich zu einer Gesamtbewertung: dem Bauchgefühl. Der Neurowissenschaftler António Rosa Damásio nennt das somatischer Marker. Viele Leute haben das Gefühl übrigens nicht im Bauch, sondern spüren etwas in der Herzgegend, im Nacken, im ganzen Körper oder empfinden einfach ein starkes Gefühl. Im Gegensatz zu dieser allgemeinen Grundbewertung ist unsere Verstandsbewertung sehr präzise. Beides kann bei Entscheidungsprozessen der Orientierung dienen.

Und wenn es zwischen Verstand und Bauchgefühl keine Übereinstimmung gibt?

Dann stimmt eine von beiden Quellen nicht und wir müssen weiter recherchieren. Entweder haben wir den Verstand nicht mit genug Daten gespeist oder unser Bauchgefühl hat noch etwas übersehen. Wir sollten erst dann eine Entscheidung treffen, wenn beide System zum selben Schluss kommen. Das würde ich auf Business-Entscheidungen ebenso übertragen wie auf die Heirat von Ehemännern.

Wie funktioniert das Bauchgefühl und wie gut können wir ihm vertrauen?

Wir wissen, dass das Unbewusste die somatischen Marker produziert. Stehen Entscheidungen an, erzeugt das Gehirn Vorstellungsbilder, die wie innere unbewusste Filme gleichzeitig ablaufen. Diese werden mit ähnlichen Situationen aus unserem emotionalen Erfahrungsgedächtnis verglichen, bewertet und erzeugen positive oder negative Körpersignale.

Können wir uns im Zweifel auf unser Bauchgefühl verlassen?

Wer sich auf sein Bauchgefühl verlassen will, muss im Unterbewusstsein genug Daten gesammelt haben, also Experte auf dem fraglichen Gebiet sein. Wer glaubt, dass das Bauchgefühl immer recht hat, dem sage ich: Unfug! Und wenn mir jemand aus der Geschäftswelt sagt, er entscheidet nur rational, weil man alles sachlich sehen muss, dem sage ich ebenfalls: Unfug! Wir haben zwei Systeme. Beide haben Vor- und Nachteile. Das Unbewusste fällt möglicherweise auf Stereotype rein, denn es hat ganz andere Bewertungskriterien als der Verstand. Während der Verstand bewertet, ob etwas logisch oder unlogisch ist, urteilt das Unterbewusstsein, ob etwa angenehm oder unangenehm ist. Wer also eine kluge Entscheidung fällen will, muss beide Systeme koordinieren. Wenn wir einen Entscheidungsfindungsprozess möglichst ideal gestalten wollen, dann müssen wir den Verstand und das Unbewusstes in Einklang bringen. Vorher würde ich nicht entscheiden.

Wenn also mein Verstand sein OK gibt, aber ich ein ungutes Bauchgefühl habe, was ist dann zu tun?

Dann muss nachgearbeitet werden. Jetzt muss man die Ursache für sein ungutes Gefühl ergründen. Allerdings hat unser limbisches System keine Sprache. Es braucht also einen Dolmetscherprozess, wo wir durch Reflexion und Gespräche mit vertrauten Menschen versuchen, herauszufinden, was hinter dem diffusen Gefühl steckt. Danach müssen wir analysieren, wie wir das ungute Gefühl vermeiden könnten.

Welche Rolle spielen Werte bei Entscheidungen?

Werte können ein bewusster Teil des Entscheidungsprozesses sein. Über den Verstand könnte man sich fragen, welchen Werten man mit einer bestimmten Entscheidung folgen möchte. Im somatischen Marker sind unsere Werte bereits eingepreist. Sie zeigen sich bei einer Verletzung der eigenen Werte, indem sie ein schlechtes Gewissen erzeugen.

Gibt es Persönlichkeitstypen, denen Entscheidungen leichter fallen?

Es gibt ängstlichere und forschere Persönlichkeiten. Beide haben Vor- und Nachteile. Dem Ängstlichen entgeht auch mal etwas Gutes, während die Forscheren häufiger auf die Nase fallen. Das Geheimnis besteht darin, den Systemwechsel zu beherrschen und Störsignale richtig zu deuten. Klügere Entscheidungen fällen Teams, in denen beide Typen vertreten sind. In Unternehmen hängt übrigens vieles von den Führungsfiguren ab, welche Stimmung herrscht und welche von beiden Persönlichkeitstypen Oberwasser haben. Berufsgruppen, die sehr auf Sicherheit und Kontrolle angelegt sind, werden eher von vorsichtigen Entscheidern geprägt sein, während die Forscheren in innovativen Betrieben die Richtung vorgeben. Wichtig ist, dass eine Führungskraft beide Persönlichkeitstypen wertschätzt und beide zu Wort kommen lässt. Dieses Prinzip ließe sich auch auf den privaten Bereich anwenden.

Welche Strategien für bessere Entscheidungen empfehlen Sie Menschen, die einfach nicht weiterkommen?

Stellen Sie sich 1. die Katastrophenfrage: Was wäre der schlimmste anzunehmende Fall, der bei der jeweiligen Wahl eintreten könnte? Und 2. Überlegen Sie, ob Sie mit dieser Katastrophe leben könnten oder ob Sie daran zerbrechen würden? Lautet die Antwort: Ja, dann würde ich empfehlen: Finger weg von dieser Alternative! Könnten Sie aber mit dieser Katastrophe leben, dann wissen Sie, was zu tun ist.

Herbst 2022: weltraum, Foto: Maja Storch online

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