MAGISCHE RITUALE

Kann Tee lächeln? Abwarten. Es weht jedenfalls ein Hauch Japan durch den Raum, als Yoko Kozuma-Chlosta die Tatami-Matte ausgerollt. Jetzt schafft sie mit einem kniehohen Paravent jenseits der Welt da draußen einen separaten Raum. Und stellt dann eine Tafel mit Schriftzeichen auf. Sie symbolisieren die Einmaligkeit des Augenblicks. “Es ist wichtig”, erklärt sie, “gemeinsam diese besondere Zeit zu genießen, sich der Vergänglichkeit bewusst zu sein.” Danach platziert sie akribisch „Feuerschale“, Steinplatte und Silberkanne, entnimmt aus sorgsam eingeschlagenen Tüchern diverse Tee-Utensilien. Der Tee-Quirl sowie der handgeschnitzte Teelöffel sind aus Bambus, die glänzende Teedose, die kunstvoll verzierte Schale: All das findet seinen sorgfältig ausgewählten Platz.

Alles geschieht fließend und folgt einem Jahrhunderte alten Ritual. Allmählich blendet sich die Welt da draußen aus. Und Yoko Kozuma erklärt lächelnd das fremde Ritual, erzählt von den Hintergründen der japanischen Kulturgeschichte: Um 600 n.Chr. brachten Japaner, die in China den Buddhismus studierten, den Tee mit nach Hause, wo er Mönchen als Medikament und in Tempeln der Meditation diente. Später verband der bedeutende Zen-Meister Sôjun den meditativen Geist des Zen-Buddhismus mit der Schlichtheit der Teezeremonie. Weiter nimmt uns die Teemeisterin mit auf eine Reise in jene Zeit, als die Samurais zur Zeremonie noch ihre Schwerter und die Frauen ihren Schmuck ablegten. Statt Statussymbolen prägten sodann Demut, Aufmerksamkeit und Respekt die Atmosphäre. 

Diese Augenblicke sind edel und kostbar

Dabei orientiert sich die klassische Teezeremonie an den jeweiligen Jahreszeiten, und das sind nach japanischer Zeitrechnung immerhin 24! So trägt auch unsere Teeexpertin zu jeder Jahreszeit einen anderen, reich verzierten Kimono. Passend zur entsprechenden Gelegenheit gehört dazu ein zwei oder vier Meter langer Gürtel: der Obi. Um ihn anzulegen, benötigt sie mindestens eine halbe Stunde. 

Indem die Zeremonie strengen Regeln und Abläufen folgt, sollen bestimmte Effekte erzielt werden. Es gilt im Sinne der alten Großmeister, den „Weg des Tees“ zu beschreiten, dem Gast die Möglichkeit zur inneren Einkehr zu eröffnen, um schließlich in einer schlichten Umgebung den Tee zu servieren. Wie im Zen integriert auch das Tee-Ritual die fünf Elemente Wasser, Holz, Feuer, Erde, Metall. Sie stehen für das gesamte Leben und finden sich sowohl im Raum wie in den Utensilien wieder. Daneben dominieren vier Prinzipien: Harmonie, Respekt, Reinheit und Stille/Gelassenheit. So steht etwa das Prinzip der Reinheit nicht nur dafür, dass die Utensilien akribisch gesäubert sind, sondern dass auch die Seele frei von dunklen Gedanken bleibt. 

All das zu verinnerlichen und zu zelebrieren ist ein langwieriger Lernprozess. Die Gastgeberin sollte wissen, wie sie eine entspannte Atmosphäre schafft, wie sie sensibel auf die Gefühle der Gäste eingeht, wann sie die Konversation eröffnet. Darüber hinaus müssen sich Teezeremonie-MeisterInnen mit den Details aller 24 Jahreszeiten auskennen, alle Bewegungen und deren Bedeutungen beherrschen. Für die absolute Perfektion bedarf es fast eines ganzen Lebens. „Ich lerne seit 20 Jahren von meiner Meisterin in Japan“, erzählt Yoko Kozuma, die inzwischen drei von vier Stufen zur Meisterin erreicht hat. Jetzt falzt sie Papiere so, dass die Süßigkeiten, die den herb-bitteren Teegeschmack neutralisieren sollen, darauf später nicht wegrollen. Es folgt eine ausgeklügelte Choreografie geschmeidiger Abläufe bevor sie schließlich mit schnellen anmutigen Bewegungen den Tee schaumig schlägt. Sie wiederholt Reinigungs- und Zubereitungsabläufe, bis einer nach dem anderen eine Schale Tee überreicht bekommt. Bevor jeder Gast seinen Tee in drei Schlucken trinkt, sollte er seine Schale zweimal drehen, damit seine Lippen das Muster auf der Schale nicht berühren – aus Respekt vor der kunstvollen Handarbeit.  Dann trinken wir einen aus jungen Teeblättern gewonnenen, zu feinstem Pulver vermahlenen, vitaminreichen grünen Matcha-Tee. Er schmeckt irgendwie nach Spinat und wirkt tatsächlich sehr belebend.

Rund eine Stunde dauert solch eine traditionelle Tee-Zeremonie. Nach dem Teegenuss plaudert man wertschätzend über Kunst, beispielsweise, wie und von wem die Teeschalen gearbeitet sind. Zum Schluss unserer Lehrstunde betont Frau Kozuma noch einmal den Wert unseres Treffens. „Diese Augenblicke sind edel und kostbar und sollen in guter Erinnerung bleiben.“ Als wir sie später zu Kaffee und Gebäck einladen, erfahren wir, dass Frau Kozuma mit einem deutschen Mann verheiratet ist, seit über zehn Jahren in Deutschland lebt und in einem Ingenieur-Büro in Wolfsburg arbeitet. Sie schwärmt vom deutschen Frühstück, von Brot und Brötchen. Ihren Kaffee trinkt Yoko Kozuma übrigens schwarz, in kleinen Schlucken. Kimono und Kaffee, auch das geht also! In mir aber wirkt immer noch der Zauber der gerade erlebten magischen Rituale nach. Und ja … Tee kann lächeln!

Andere Länder, andere Tee-Sitten

Russland

Traditionell kommt der Tee aus dem Samowar, einem Boiler, der vor gut 250 Jahren im russisch-türkisch-persischen Grenzgebiet erfunden wurde. Er liefert durch beständiges Köcheln keimfreies Wasser. In der Kanne setzt man einen starken Schwarzteesud an, der drei bis vier Minuten zieht, bevor er auf dem Samowar warm gestellt wird. Dann den Sud ins Glas oder in die Tasse geben und mit heißem Wasser (Verhältnis 1:4) verdünnen. Beliebt sind kräftig-rauchige, dunkle Teesorten. Dazu werden traditionell „waranje“ (sehr süße kandierte Früchte) gereicht. Manche geben bzw. nehmen einen Löffel Marmelade in das Getränk (oder in den Mund) und spülen das Ganze mit dem herben Tee hinunter.

Britisch

Zum klassischen Afternoon Tea („Tea Time“ zwischen 16 und 17 Uhr) werden Scones gereicht, kleine Brötchen, bestrichen mit Erdbeermarmelade und „clotted cream“ (Sahne oder Buttercreme). Auch hauchdünne Sandwiches, mit Gurke, Ei, Schinken, Kresse, Roastbeef oder Räucherlachs belegt, gehören dazu. Die Inselbewohner trinken gerne kräftigen schwarzen Tee, der mit kochendem Wasser übergossen wird und bis zur „bitteren Neige“ in der Kanne bleibt. Getrunken wird der Tee traditionell mit Milch. Ob zuerst die Milch oder der Tee in die Tasse kommt, ist inzwischen eine reine Glaubensfrage.

Ostfriesland

Hier heißt die Teezeremonie „Tee-Tied“. Die Blätter der kräftigen Schwarztee-Mischung übergießt man mit kochendem Wasser. Nach drei bis fünf Minuten Ziehzeit wird das restliche Wasser auf-, später durch ein Sieb abgegossen und auf einem Stövchen warm gestellt. Gießen Sie den Tee über einen Brocken Kandis und träufeln Sie dann vorsichtig etwas Sahne dazu. Die weiße Creme sollte sich als „Wölkchen“ oben absetzen! Den Tee genießt man in „Schichten“! Auf diese Weise schmeckt fast jeder Schluck anders: die cremige Sahne, der herbe Tee und zum Schluss der vom Kandis gesüßte Rest. Übrigens: Der Kandis („Kluntje“) reicht  idealerweise für die drei obligatorischen Tassen Tee.

Marokko

„Thé à la menthe“ ist ein Bestandteil der arabischen Gastlichkeit und wird den ganzen Tag über getrunken. Wenn Sie diesen Klassiker probieren wollen, dann geben Sie zwei Löffel mit Blättern eines kräftigen grünen Tees in eine Kanne und gießen einen Liter heißes, nicht mehr kochendes, Wasser darüber. Nach zwei Minuten kommt ein halbes Bund frische Minzblätter, Zucker und etwas Salbei dazu. Nachdem der Tee weitere drei bis vier Minuten gezogen hat, wird er aus gut einem Meter Höhe in die Teegläser gegossen. Diese „Technik“ fügt dem Getränk Sauerstoff hinzu und macht es magenfreundlicher. Dazu schmecken Pistazien, mit Walnüssen gefüllte Datteln und Anisgebäck. 

Oktober 2015, weltraum, Foto: Janina Snatzke

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