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HÖHLENMALEREI UND WHATSUP

“Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinsieht, so kann kein Apostel herausgucken.“ Georg Christoph Lichtenberg

Wer lesen will, braucht Lesestoff. Und der entwickelte sich im Laufe der Menschheitsgeschichte rasant. Vorboten waren prähistorische Höhlenmalereien (40.000 v. Chr.), die Zeichen der Vincˇa-Kultur im Donauraum (5.000 v. Chr.) und die ägyptischen Hieroglyphen (3.000 v. Chr.). Als das älteste überlieferte Schriftwerk der Dichtkunst schildert das sumerische Gilgamesch-Epos (1.800 v. Chr.) die Heldentaten von König Gilgamesch, der am Ende einsehen muss, dass Unsterblichkeit nur den Göttern vorbehalten ist. Damit Geschichten wie diese überhaupt einen großen Teil der Menschheit erreichen, bedurfte es eines überschaubaren Schriftsystems. So entwickelten Händler im heutigen Syrien um 1.400 v. Chr. aus den Keilschriften Vorderasiens die erste alphabetische Schrift. Auf dieser Grundlage genügen später in unserem Kulturkreis 26 Buchstaben, um formulierbare Gedanken aller Art festzuhalten. Aber erst als Gutenberg 1450 die Buchherstellung revolutionierte, nimmt die Geschichte des Lesens richtig Fahrt auf.

Während wir heute eher für uns alleine lesen, war seit der Antike das Vorlesen und laute Rezitieren üblich. Erst im Hochmittelalter setzte sich das stille Lesen durch. Das mag „ mit den ersten Universitätsgründungen zusammenhängen oder mit der Tatsache, dass man niemandem mehr preisgeben musste, was man las. Darüber hinaus trug die Erfindung der Lesebrille im Spätmittelalter dazu bei, dass auch Ältere nun allein lesen konnten. Zu den Lesern der damals vorwiegend in lateinischer Sprache verfassten Werke zählte vor allem die Geistlichkeit. Ab dem 16. Jahrhundert setzten sich langsam auch landessprachliche Bücher durch. Gelesen wurden sie auch von Kaufleuten, Akademikern und Juristen, die sich von der „tumben“ Landbevölkerung abheben wollten. Ihre Lektüre: die Bibel und Werke, aus denen sie eine auf das eigene Leben anwendbare Moral ableiten konnten. Die schöne Literatur (Belletristik) entwickelte sich in Form von Romanen und Erzählungen im 17. Jahrhundert. Sie füllte den Raum zwischen wissenschaftlicher Literatur und den zumeist sehr roh gestalteten Büchern für das „einfache Volk“. Nicht zuletzt bildete die 1712 gestartete Schulpflicht in Preußen den Auftakt dazu, dass Lesen bei uns überhaupt gelernt werden konnte. Der Sprung in die heutige Zeit beginnt mit einem Paukenschlag: Ab 1993 geht die Welt online und das gedruckte Buch erhält zunehmend digitale Konkurrenz.

Spätestens mit Streamingdiensten und sozialen Netzwerken Anfang der 2000er-Jahre beginnt eine Renaissance der Kommunikation sowie der Lesegewohnheiten. Schnelllebigkeit, Reizüberflutung und permanente Erreichbarkeit machen das Bücherlesen weniger attraktiv, sagt Lese- und Medienforscherin Prof. Simone C. Ehmig. Heute sei auch digitale Lesekompetenz gefragt. „Dabei fördern und fordern Bücher, insbesondere literarische Texte, das konzentrierte vertiefte Lesen, auch deep reading genannt. Gerade diese Fähigkeiten, etwa zur schnellen Orientierung, sind oft mit vertieftem Lesen verbunden. Denn es ist eine wichtige Metakompetenz, entscheiden zu können, wann man sich tiefer auf einen Text einlässt und wann man ihn nur überfliegt.“ Festzuhalten bleibt: Lesen ist eine grundlegende Voraussetzung – für die persönliche Bildung und für ein selbstbestimmtes Leben. Wer nur häppchenweise konsumiert, der verschluckt sich eher, als dass er etwas erfährt. Wer aber fake von echt unterscheiden möchte, sollte auch mal hinter die Kulissen schauen, andere Sichtweisen und Welten kennenlernen – seinen Horizont erweitern. Das könnte die Welt besser machen. Gute Begleiter auf diesem Weg bleiben Bücher.

Quellen: Stiftung Lesen, Wikipedia, history.de, Bild der Wissenschaft, Bundeszentrale für politische Bildung, Alberto Manguel: Eine Geschichte des Lesens, biblionomicon.blogspot.com, Erich Schön: Der Verlust der Sinnlichkeit oder Die Verwandlungen des Lesers.

- weltraum, Dezember 2020, Layout: Kerstin Krempel

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