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GLÜCKLICHER WOHNEN

Unsere Wohnung als Spiegel unserer Persönlichkeit

Warum spürt man oft sehr schnell, ob man sich in Räumen wohlfühlt oder nicht?

Wohnpsychologin Dr. Barbara Perfahl: Jeder Raum löst eine unmittelbare emotionale Reaktion in uns aus. Die kann sehr stark sein, aber auch so schwach, dass sie erst gar nicht unsere Bewusstseinsschwelle überschreitet. Grundsätzlich gibt es relativ ideal gestaltete Räume, die bei uns eine positive Gefühlsreaktion bewirken. Dabei leitet sich viel aus der Natur ab. Schließlich hat sich unsere Wahrnehmung während der Evolution in und entlang der Natur entwickelt. Deshalb empfinden wir Umgebungen als angenehm, die der Strukturiertheit sowie Reizkomplexität der Natur entsprechen – auch in abstrakter Form. Darüber hinaus haben wir alle eine eigene Wohngeschichte und individuelle Beziehungen zu Räumen. Unser aller Leben besteht aus Erleben, und das findet immer in irgendeinem Raum statt. So sind auch unsere Erinnerungen immer ortsgebunden. Unser heutiger Geschmack kann also auch damit zu tun haben, wie wir im Kindesalter unsere Wohnräume erlebt haben. Laut einer Studie wird der Grundstein für das ästhetische Empfinden im Alter von drei bis vier Jahren gelegt. In dieser Phase entwickelt sich auch unsere Raumvorstellung. Erst in dieser Phase können Kinder den Raum als eigene Struktur wahrnehmen und sehen sich als separates Element, das mit diesem Raum in Beziehung steht. Vorher sind Räume quasi nur der emotionale Hintergrund dessen, was sich darin abspielt.

Sie sagen, dass wir unsere Wohnbedürfnisse ernst nehmen sollen. Um welche Wohnbedürfnisse handelt es sich?

Um das Bedürfnis nach Sicherheit. 2. Um Rückzugsmöglichkeiten. 3. Unsere Wohnung als Ort der Begegnung mit anderen. 4. Das Bedürfnis nach Selbstdarstellung. 5. Um den Wunsch, unsere eigene Umwelt nach unseren Vorstellungen zu gestalten. 6. Unser ganz individuelles ästhetisches Bedürfnis. Insgesamt geht es darum, dass wir uns entsprechend unserer Wohnbedürfnisse unsere Räume aneignen.

Was bedeutet das konkret?

Die Räume müssen zu unseren individuell ausgeprägten Bedürfnissen passen. Es gibt Menschen, die ein hohes Sicherheitsbedürfnis haben und abends alle Fenster blickdicht haben wollen, während andere da ganz entspannt sind. Wir bezeichnen es als Aneignung, wenn jemand entsprechend seiner Wohnbedürfnisse seine Wohnung gestaltet. Wie sehr Menschen sich zuhause wohlfühlen, zeigt, wie gut die Aneignung gelungen ist. Im Idealfall schaut man, wie stark welches Bedürfnis ausgeprägt ist und umgibt sich dementsprechend mit dazu passenden Dingen und Farben. Ist das nicht der Fall, kann man experimentieren: Funktionen von Räumen anders verteilen, Räume tauschen, die Anordnung der Möbel verändern, Farbe und Lichtquellen überdenken. Wohnen mehrere Personen zusammen, ergeben sich automatisch zusätzliche Herausforderungen.

Wo hakt es, wenn Paare zusammenwohnen?

Zusammenwohnen ist immer Beziehungsarbeit. Beim Wohnen werden unsere Unterschiede deutlich: Er ist genervt, weil sie schon wieder Deko in den Räumen verteilt und sie, weil er wieder einmal Technik anschleppt und Kabel verlegt. Jenseits dieses Klischees müssen wir wissen, dass wir territoriale Wesen sind und jeder ein tief liegendes Bedürfnis nach seinem ganz persönlichen Bereich hat. Dann wird auch klar, dass Deko oder Kabel als territoriale Markierungen oder Übergriffe wahrgenommen werden, auf die wir sehr empfindlich reagieren können. Wenn wir uns aber diesen unbewussten Aspekt klarmachen, können wir leichter Kompromisse aushandeln. Es muss klar sein, wer welche Wohnbedürfnisse hat: Habe ich etwa ein großes Rückzugsbedürfnis, welche ästhetischen Aspekte sind mir wichtig, möchte ich oft und viel gestalten oder ist es mir lieber, das alles so bleibt, wie es ist? Bei Unterschieden müssen wir uns etwas überlegen, damit der eine nicht jedes Mal genervt ist, wenn der andere ein Bild umhängt.

Wie könnte man Konfliktpotenziale abmildern?

Zum Beispiel, indem jeder seine Rückzugsmöglichkeiten hat und vor allem Dinge in die Wohnung kommen, die beiden gefallen. Am besten fährt man damit, die Wohnbedürfnisse und die Wahrnehmung des anderen zu akzeptieren und sie nicht abzuwerten. Nach der Kleidung sind unsere Räume quasi unsere dritte Haut. Wenn ein Paar zusammenwohnt, ist die dritte Haut des einen automatisch auch die dritte Haut des anderen. Verändere ich etwas ohne Absprache, das dem anderen gegen den Strich geht, dann ist das so, als würde ich morgens einen knallbunten Pulli anziehen, den der Partner zwangsläufig auch tragen muss. Wenn man sich aber seine Wohlfühlfaktoren bewusst macht und weiß, warum einem etwas wichtig ist, kann man sich darüber wunderbar austauschen.

Kann man mit kleineren Veränderungen positive Effekte bewirken?

Klar. Zum Beispiel, indem man das Prinzip „Weniger ist mehr!“ beherzigt. Eine Übung: Nehmen Sie sich Zeit, entfernen Sie dann aus dem Raum 50 Prozent der Deko, der Bilder und sonstiger Kleinigkeiten. Dann schauen Sie, was mit dem Raum passiert. Eine weitere Empfehlung: Schaffen Sie freie Flächen! Die meisten Leute haben in der ganzen Wohnung alle Flächen zugestellt. Noch ein Tipp: Fassen Sie zusammengehörige Dinge zusammen und definieren Sie klar abgegrenzte Zonen im Raum, zum Beispiel durch Teppiche. Darüber hinaus tut Natur in jeglicher Form einem Raum gut – ob mit Objekten oder Farben. Und schließlich sind Fensterplätze besonders attraktiv. Dabei geht es nicht nur um Ausblicke in die Natur, sondern auch um einen Blick in den Himmel oder entlang der Straße. Wenn wir den Blick schweifen lassen können, dann ist das erholsam, heilsam und konzentrationsförderlich.

März 2021, weltraum, Foto: Wolfgang Lehner

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