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HÄUSLICHE GEWALT

ES GIBT AUSWEGE

Vier Fragen an Daniela Çevik, Geschäftsführerin der Gewaltberatungsstelle BISS/Dialog e.V. in Wolfsburg

Wer kann sich bei Ihnen beraten lassen?

Daniela Çevik: Zu uns kommen Betroffene von häuslicher Gewalt sowie Kinder und Jugendliche nach sexualisierter Gewalt. Außerdem beraten wir Angehörige und pädagogisches Fachpersonal. Menschen, die zu uns kommen, müssen nicht zwangsläufig geschlagen werden. Gewalt beginnt bereits, wenn beispielsweise der Partner seiner Frau vorschreibt, wann und ob sie überhaupt das Haus verlassen darf, wenn er ihr kein Geld gibt, seine Partnerin ständig bevormundet oder ihr droht. Auch Stalking ist ein großes Thema. Das Tabu-Thema Gewalt betrifft Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Wir gehen davon aus, dass jede dritte Frau in ihrem Leben eine Gewalterfahrung macht. 2021 waren allein in Wolfsburg 352 Frauen betroffen. Corona und weitere Krisen verschärfen die Situation noch zusätzlich. Auch wenn es hauptsächlich Frauen trifft, gibt es auch von Gewalt betroffene Männer. Sie können sich bei uns von einem männlichen Kollegen beraten lassen.

Was passiert in den Beratungen?

Zunächst einmal: Wir unterliegen der Schweigepflicht, alle Gespräche sind kostenlos und beruhen auf Freiwilligkeit. Dabei können Betroffene mit uns über alles reden – es passiert nichts, was sie nicht möchten. Anfangs müssen wir oft Druck, Frust und Ängste ab- und Vertrauen und Zuversicht aufbauen. Menschen, die Schlimmes erlebt haben, unterstützen wir dabei, etwas Abstand zu gewinnen, Kraft zu tanken und wieder zu sich zu finden. Gemeinsam schauen wir, was die nächsten Schritte sein können und wie ein bestmöglicher Schutz aus- sehen könnte. Wir geben keine Rückmeldung an die Polizei, brauchen keine Beweise und stehen solidarisch an der Seite der betroffenen Menschen. Wir informieren auch über rechtliche Möglichkeiten, und falls gewünscht begleiten wir die Betroffenen auf Ämter, zum Gericht oder nehmen Kontakt zu diesen Stellen auf. Oft lässt sich nicht sofort etwas verändern. Zum Beispiel, weil ein Gerichtsbeschluss oder ein Näherungsverbot aussteht. Auch dann stehen wir mit Rat und moralischer Unterstützung zur Seite. Man muss übrigens nicht auf das nächste schlimme Ereignis warten. Man kann sich auch dann bei uns melden, wenn gerade keine konkrete Gefahr besteht.

Was können Nachbarn, Freunde und Bekannte tun?

Das kommt auch auf die Art der Verbindung zu den Betroffenen an. Möglicherweise haben gerade Nachbarn Hemmungen, sich einzumischen. Trotzdem ist Zivilcourage gefragt. Allerdings muss auch keiner klingeln und fragen, was los ist. Wenn aber Menschen ganz offensichtlich in Gefahr sind, sollte man unbedingt die Polizei einschalten. Grundsätzlich können Angehörige, Freunde und Nachbarn auf Beratungsstellen hinweisen. Und sie dürfen natürlich selbst kommen oder die betroffenen Menschen zu uns begleiten.

Was wünschen Sie sich?

Den Betroffenen wird sehr viel abverlangt. Deshalb wäre mehr Solidarität mit den Opfern dringend angebracht. Ich wünsche mir ein konsequenteres Verhalten gegenüber den Tätern und dass man die juristischen Möglichkeiten voll ausschöpft. Frauen scheitern oft in Gerichtsverfahren – falls diese überhaupt zustande kommen. Laut unserem Gewaltschutzgesetz muss derjenige gehen, der schlägt. Damit ist es aber vielfach nicht getan. Denn nach einer Trennung steigt oft das Risiko für die Frauen. An alle, die in Gefahr sind, kann ich nur appellieren: Bitte verzweifeln Sie nicht! Trauen Sie sich und nehmen Sie Kontakt zu uns auf! Gemeinsam finden wir einen Weg.

Anlaufstellen

BISS-Interventionsstelle / Dialog  e.V.

Telefon: 0 53 61.8 91 23 00

dialog@wolfsburg.de

https://www.dialog-wolfsburg.de

Hilfe bei akuter Gefahr

Polizei-Notruf: 110 

Frauenhäuser

Telefonseelsorge (rund um die Uhr)

Telefon: 0800.1 11 01 11 oder 0800.1 11 02 22

Mail und Chat: online.telefonseelsorge.de

Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen (rund um die Uhr – auch ohne Telefon-Guthaben) Telefon: 08000.11 60 16

Kirchliche Ehe-, Familien- und Lebensberatungungen 

Täterberatungsstelle – Häusliche Gewalt

Telefon: 0172.5 85 26 68 oder 0173.7 56 44 16

www.gegen-häusliche-sexuelle-gewalt.de

September 2022, weltraum, Foto: Janina Snatzke

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